Welchen Einfluss hat die mutterkuhgebundene Kälberauftzcht auf das Verhalten der Tiere

Stand 15.7.2024- bisher 8 Kälber und 8 Kühe, 4 davon bereits entwöhnt

  • die Kühe müssen in den ersten Tagen nach der Geburt das System mit den Toren verstehen. Das ist für manche Kühe schnell erlernt. Andere Kühe benötigen allerdings einige Tage Zeit und müssen mehrmals täglich durch die Tore getrieben werden. Das bedeutet dann für die Kühe etwas Aufregung und Stress. Manchmal muhen die Kühe, weil sie zum Beispiel auf der Weide am Rand des Kälberstalles stehen und in den Kälberbereich möchten. Dazu müssen sie aber erst zurück in den Stall und dann wieder durch das Selektionstor zurück. Das ist für manche Kühe schwer zu verstehen. Insgesamt tritt ein lautes Muhen der Kühe aber selten auf.
  • Die Kälber rufen nach ihren Müttern fast nur dann, wenn sie Hunger haben. Das trat in diesem Versuch bisher nur auf, wenn es technische Schwierigkeiten gab. 
  • Das gemeinsame Aufwachsen der Kälber fördert die Kommunikation zwischen den Tieren. Sie belecken sich gegenseitig, rennen manchmal gemeinsam durch den Stall und legen sich meistens eng zusammen hin.
  • Die Entwöhnung der Kühe bereitet erstaunlich wenig Probleme. Bisher war es für keine Kuh ein größeres Problem, wenn sie ihr Kalb nicht mehr selbst tränken durften und nur noch über den Zaun nach dem Kalb schauen. Der Kontakt über den Zaun bleibt über gegenseitigem Belecken bestehen.
  • erstaunlicherweise ist bisher kein Kalb der Mutter in den Kuhstall gefolgt. Ich hatte vor dem Versuch eigentlich angenommen, dass hier das größte Problem liegen würde...
  • Manche Kühe lassen nur ihre eigenen Kälber Milch aus dem Euter saufen, bei anderen Kühen spielt es keine Rolle und auch andere Kälber dürfen Milch saufen. Bei den Kälbern ist es ähnlich. Es gibt Kälber, die ausschließlich bei der Mutter am Euter saufen. Die meisten Kälber saufen allerdings Milch auch bei den anderen Kühen, wenn sie gerade Durst haben und die Mutter nicht da ist. 
  • Die Umgewöhnung der Kälber nach der gemeinsamen Zeit auf eine Milchtränke über einen Nuckel am Milchtränkeautomaten, wo es Milchpulver gibt, ist ein weiterer wichtiger Punkt. Alle Kälber bekommen direkt nach der Geburt erstmal die erste Milch über einen Nuckeleimer. Dadurch bekommen sie nicht nur die lebenswichtigen Schutzstoffe der Milch, sondern haben auch schon mal den Nuckeleimer kenenngelernt. Mit dieser Erfahrung ist die Umgewöhnung innerhalb von zwei Tagen machbar und bisher kein großes Problem.  Ein Kalb, dass nach der Geburt nicht am Nuckeleimer die erste Milch erhalten hatte, hatte hier deutlich größere Schwierigkeiten.

Update Stand 2.9.2024

in den letzten Wochen haben bei uns sehr viele Kühe ein Kalb bekommen. Deshalb sind zur Zeit acht Kälber im Stall, die von ihren Müttern versorgt werden. Bei so vielen Tieren ist der Stall auf jeden Fall schon an der Platzgrenze angekommen. In der Regel haben wir aber auch nicht mehr Kälber zur selben Zeit.
Mit der Anzahl der Kalbungen steigt auch das Stresslevel ganz massiv an. Während bei einem Kalb nur die eine Mutter manchmal kurzzeitig unzufrieden war, wenn ihr Kalb zum Beispiel im Kälberrückzugsbereich lag und die Kuh dort nicht hin konnte, sind es jetzt entsprechend mehr Kühe, die dann manchmal unzufrieden sind. Außerdem sind bei diesen acht Mutterkühen zwei Tiere dabei, die sich besonders lautstark und lange beschweren, wenn das Kalb mal keine Lust hat, Milch aus ihrem Euter zu saufen. Das macht die ganze Sache sehr problematisch. In den letzten Wochen gab es in mehreren Nächten in Folge laute unzufriedene Kühe, so dass ich in der Nacht die Kälber zu den Kühen bringen musste, damit diese endlich Ruhe geben.
Als Folge dieser Situationen habe ich den Käberrückzugsbereich jetzt für die Kühe geöffnet. Einen Rückzugsbereich für Kälber gibt es derzeit nicht mehr. Durch diese Maßnahme waren die Kühe nun deutlich zufriedener und der Nachtschlaf (auch der Nachbarn) wieder hergestellt. Wie der Rückzugsbereich für die Kälber zukünftig gestaltet wird, weiß ich zur Zeit nicht. Er ist aber wichtig, damit die Kälber dort auch eigenes Futter bekommen können.
Leider hat unsere Herde in der letzten Woche auch das Blauzungenvirus erreicht. Das führt im Prinzip zu einer Schwächung der Tiere. Durch diese Schwächung können dann andere Erreger leichter Probleme bei den Tieren auslösen. Viele Kühe haben zur Zeit Entzündungen an den Beinen. Auch den Kälbern geht es teilweise nicht so gut. Alle Kälber haben mit Durchfall zu tun und manche Kälber haben Gelenksentzündungen. Ein Kalb ist gestern leider gesorben. Ein Weiteres ist zur Zeit noch sehr schwach und musste in einen anderen Kälberstall umziehen. Beide Situationen lösten logischerweise bei den Müttern Kummer aus.
Durch diese vielen negativen Umstände ist auch bei mir die anfängliche Euphorie etwas verflogen und Ernüchterung eingetreten. Ich hatte in dieser Zeit den Eindruck, dass die negativen Empfindungen bei einzelnen Kühen sehr stark ausgeprägt waren. Sie haben natürlich auch die positiven Momente, die sie mit ihrem Kalb gemeinsam erleben. Aber insgesamt ist das nicht so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich stehe jetzt vor der ethischen Frage, ob es besser ist, eine Kuh zu haben, die Freud und Leid erlebt oder eine Kuh zu haben, die beides nicht erlebt. Aber vielleicht fällt mir in den nächsten Wochen ja noch etwas ein, damit die Leidensmomente bei den Kühen deutlich verringert werden. Im Moment bin ich da aber leider noch ratlos...
 
Update Oktober 2024
 
nachdem ich in dem letzten Update ja schon angedeutet hatte, dass es insbesondere bei zwei Kühen Schwierigkeiten gab, wenn diese von den Kälbern getrennt waren, weil diese in ihrem Rückzugsraum waren, verlief die komplette Trennung nach etwa vier Wochen leider überhaupt nicht gut. Für die Kälber war es absolut in Ordnung. Sobald diese satt waren, waren sie zumindest äußerlich sehr zufrieden und haben nicht den Drang gezeigt, zur Mutter an den Zaun zu gehen. Für die beiden Kühe war es allerdings anders. Sie haben teilweise stundenlang nach den Kälbern gerufen (auch nachts). Mehrere Nächte in Folge bin ich nachts nochmal aufgestanden und habe die  beiden Kühe dann doch wieder direkt zu den Kälbern gelassen. Die darauf folgenden Tage habe ich dann so organisiert, dass die Kühe tagsüber von ihren Kälbern getrennt waren und nachts zusammen. Das war aber insgesamt emotional sehr schwierig, für die Kühe, für mich und wahrscheinlich auch für die Nachbarn (obwohl sich niemand von Ihnen beschwert hat).
Nach der letzten Mail habe ich auch sehr viele Rückmeldungen und Hinweise von Euch bekommen. Dafür an dieser Stelle einmal ganz herzlichen Dank! Es ist toll, dass ihr so "mitfiebert" und genauso hofft, dass das Projekt gut endet, wie ich es tue.
 
Das bisherige Fazit des Versuchs:
15 Tiere haben bis jetzt seit Beginn des Versuchs ein Kalb bekommen. Eine Kuh konnte ihr Kalb nicht selbst versorgen, weil das Euter so tief hing, dass das Kalb die Zitzen nicht ins Maul bekommen konnte. Bei einer weiteren Kuh war Hilfe von mir in den ersten Tagen nötig. Danach konnte das Kalb alleine trinken. Alle anderen Kühe konnten ihre Kälber versorgen.
Alle Kühe haben das System nach ein paar Tagen verstanden und sind selbständig zu ihren Kälbern in den Stall gelaufen und auch wieder alleine zurück in die Herde. Die Kälber haben ihren Kälberstall überwiegend nicht verlassen, um der Mutter zu folgen. Nur an zwei Tagen musste ich mal ein Kalb wieder zurück in den Kälberbereich bringen.
Die Kühe haben in etwa vier Wochen lang ihr Kalb versorgt, bevor sie sich nicht mehr direkt begegnen konnten, sondern nur noch am Zaun. Bei 10 Kühen verlief diese Trennung relativ problemlos ohne offensichtlichen Trennungsschmerz. Bei drei Tieren war ein größerer Trennungsschmerz offenbar vorhanden. Zumindest haben sie nach ihren Kälbern gerufen (wenige Minuten am Stück). Bei zwei Kühen war das Rufen über Stunden zu vernehmen (wie oben schon beschrieben).
Es gibt ein von der EU gefördertes Projekt, dass sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der mutterkuhgebundenen Kälberaufzucht beschäftigt. Daran beteiligt sind etwa zehn Landwirte, die alle ein etwas unterschiedliches System durchführen. Bei allen dieser Systeme gab es dieses Rufen der Kühe nach ihren Kälbern ebenfalls. Mein ursprüngliches Ziel war es ja, durch den Versuchsaufbau eine schonende Trennung hinzubekommen, um dieses Rufen zu vermeiden. Ich muss jetzt allerdings feststellen, das es so noch nicht funktioniert hat. Deshalb werde ich im nächsten Schritt den Versuch etwas anders weiter machen.
Die Kühe sollen ihre Kälber nicht mehr ganz so lange selbst versorgen, nur noch die ersten drei oder vier Tage. Danach sollen andere Kühe die Versorgung der Kälber als Ammenkühe übernehmen. Die Mütter der Kälber können dann weiterhin über den Zaun den Kontakt zum Kalb aufrechterhalten. Das Kalb wird dann aber nicht mehr am Euter der Mutter trinken. Ich hoffe, das so die Bindung zwischen Mutter und Kalb nicht ganz so stark ausgebildet wird. Das ist leider nicht das, was ich mir am Anfang des Versuchs erhofft habe, aber immerhin schon etwas naturnaher für die Kälber als bei der sofortigen Trennung.
 
Da die Weide zur Zeit durch den vielen Regen sehr matschig  geworden ist, weiß ich allerdings noch nicht, ob die Fortsetzung des Versuchs in den nächsten Wochen möglich sein wird. Eventuell muss ich damit bis zum Frühjahr warten,  bis die Weide wieder abgetrocknet ist.
 
Ich halte Euch weiter auf dem Laufenden.
 
Viele Grüße, danke für Euere Unterstützung und bis bald.
 
Karsten