in den letzten Wochen haben bei uns sehr viele Kühe ein Kalb bekommen. Deshalb sind zur Zeit acht Kälber im Stall, die von ihren Müttern versorgt werden. Bei so
vielen Tieren ist der Stall auf jeden Fall schon an der Platzgrenze angekommen. In der Regel haben wir aber auch nicht mehr Kälber zur selben Zeit.
Mit der Anzahl der Kalbungen steigt auch das Stresslevel ganz massiv an. Während bei einem Kalb nur die eine Mutter manchmal kurzzeitig unzufrieden war, wenn ihr
Kalb zum Beispiel im Kälberrückzugsbereich lag und die Kuh dort nicht hin konnte, sind es jetzt entsprechend mehr Kühe, die dann manchmal unzufrieden sind. Außerdem sind bei diesen acht
Mutterkühen zwei Tiere dabei, die sich besonders lautstark und lange beschweren, wenn das Kalb mal keine Lust hat, Milch aus ihrem Euter zu saufen. Das macht die ganze Sache sehr problematisch.
In den letzten Wochen gab es in mehreren Nächten in Folge laute unzufriedene Kühe, so dass ich in der Nacht die Kälber zu den Kühen bringen musste, damit diese endlich Ruhe geben.
Als Folge dieser Situationen habe ich den Käberrückzugsbereich jetzt für die Kühe geöffnet. Einen Rückzugsbereich für Kälber gibt es derzeit nicht mehr. Durch
diese Maßnahme waren die Kühe nun deutlich zufriedener und der Nachtschlaf (auch der Nachbarn) wieder hergestellt. Wie der Rückzugsbereich für die Kälber zukünftig gestaltet wird, weiß ich zur
Zeit nicht. Er ist aber wichtig, damit die Kälber dort auch eigenes Futter bekommen können.
Leider hat unsere Herde in der letzten Woche auch das Blauzungenvirus erreicht. Das führt im Prinzip zu einer Schwächung der Tiere. Durch diese Schwächung können
dann andere Erreger leichter Probleme bei den Tieren auslösen. Viele Kühe haben zur Zeit Entzündungen an den Beinen. Auch den Kälbern geht es teilweise nicht so gut. Alle Kälber haben mit
Durchfall zu tun und manche Kälber haben Gelenksentzündungen. Ein Kalb ist gestern leider gesorben. Ein Weiteres ist zur Zeit noch sehr schwach und musste in einen anderen Kälberstall
umziehen. Beide Situationen lösten logischerweise bei den Müttern Kummer aus.
Durch diese vielen negativen Umstände ist auch bei mir die anfängliche Euphorie etwas verflogen und Ernüchterung eingetreten. Ich hatte in dieser Zeit den Eindruck,
dass die negativen Empfindungen bei einzelnen Kühen sehr stark ausgeprägt waren. Sie haben natürlich auch die positiven Momente, die sie mit ihrem Kalb gemeinsam erleben. Aber insgesamt ist
das nicht so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich stehe jetzt vor der ethischen Frage, ob es besser ist, eine Kuh zu haben, die Freud und Leid erlebt oder eine Kuh zu haben, die beides nicht
erlebt. Aber vielleicht fällt mir in den nächsten Wochen ja noch etwas ein, damit die Leidensmomente bei den Kühen deutlich verringert werden. Im Moment bin ich da aber leider noch
ratlos...
Update Oktober 2024
nachdem ich in dem letzten Update ja schon angedeutet hatte, dass es insbesondere bei zwei Kühen Schwierigkeiten gab, wenn diese von den Kälbern getrennt waren,
weil diese in ihrem Rückzugsraum waren, verlief die komplette Trennung nach etwa vier Wochen leider überhaupt nicht gut. Für die Kälber war es absolut in Ordnung. Sobald diese satt waren, waren
sie zumindest äußerlich sehr zufrieden und haben nicht den Drang gezeigt, zur Mutter an den Zaun zu gehen. Für die beiden Kühe war es allerdings anders. Sie haben teilweise stundenlang nach den
Kälbern gerufen (auch nachts). Mehrere Nächte in Folge bin ich nachts nochmal aufgestanden und habe die beiden Kühe dann doch wieder direkt zu den Kälbern gelassen. Die darauf
folgenden Tage habe ich dann so organisiert, dass die Kühe tagsüber von ihren Kälbern getrennt waren und nachts zusammen. Das war aber insgesamt emotional sehr schwierig, für die Kühe, für mich
und wahrscheinlich auch für die Nachbarn (obwohl sich niemand von Ihnen beschwert hat).
Nach der letzten Mail habe ich auch sehr viele Rückmeldungen und Hinweise von Euch bekommen. Dafür an dieser Stelle einmal ganz herzlichen Dank! Es ist toll, dass
ihr so "mitfiebert" und genauso hofft, dass das Projekt gut endet, wie ich es tue.
Das bisherige Fazit des Versuchs:
15 Tiere haben bis jetzt seit Beginn des Versuchs ein Kalb bekommen. Eine Kuh konnte ihr Kalb nicht selbst versorgen, weil das Euter so tief hing, dass das Kalb die
Zitzen nicht ins Maul bekommen konnte. Bei einer weiteren Kuh war Hilfe von mir in den ersten Tagen nötig. Danach konnte das Kalb alleine trinken. Alle anderen Kühe konnten ihre Kälber
versorgen.
Alle Kühe haben das System nach ein paar Tagen verstanden und sind selbständig zu ihren Kälbern in den Stall gelaufen und auch wieder alleine zurück in die Herde.
Die Kälber haben ihren Kälberstall überwiegend nicht verlassen, um der Mutter zu folgen. Nur an zwei Tagen musste ich mal ein Kalb wieder zurück in den Kälberbereich bringen.
Die Kühe haben in etwa vier Wochen lang ihr Kalb versorgt, bevor sie sich nicht mehr direkt begegnen konnten, sondern nur noch am Zaun. Bei 10 Kühen verlief diese
Trennung relativ problemlos ohne offensichtlichen Trennungsschmerz. Bei drei Tieren war ein größerer Trennungsschmerz offenbar vorhanden. Zumindest haben sie nach ihren Kälbern gerufen (wenige
Minuten am Stück). Bei zwei Kühen war das Rufen über Stunden zu vernehmen (wie oben schon beschrieben).
Es gibt ein von der EU gefördertes Projekt, dass sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der mutterkuhgebundenen Kälberaufzucht beschäftigt. Daran beteiligt
sind etwa zehn Landwirte, die alle ein etwas unterschiedliches System durchführen. Bei allen dieser Systeme gab es dieses Rufen der Kühe nach ihren Kälbern ebenfalls. Mein ursprüngliches Ziel war
es ja, durch den Versuchsaufbau eine schonende Trennung hinzubekommen, um dieses Rufen zu vermeiden. Ich muss jetzt allerdings feststellen, das es so noch nicht funktioniert hat. Deshalb werde
ich im nächsten Schritt den Versuch etwas anders weiter machen.
Die Kühe sollen ihre Kälber nicht mehr ganz so lange selbst versorgen, nur noch die ersten drei oder vier Tage. Danach sollen andere Kühe die Versorgung der Kälber
als Ammenkühe übernehmen. Die Mütter der Kälber können dann weiterhin über den Zaun den Kontakt zum Kalb aufrechterhalten. Das Kalb wird dann aber nicht mehr am Euter der Mutter trinken. Ich
hoffe, das so die Bindung zwischen Mutter und Kalb nicht ganz so stark ausgebildet wird. Das ist leider nicht das, was ich mir am Anfang des Versuchs erhofft habe, aber immerhin schon etwas
naturnaher für die Kälber als bei der sofortigen Trennung.
Da die Weide zur Zeit durch den vielen Regen sehr matschig geworden ist, weiß ich allerdings noch nicht, ob die Fortsetzung des Versuchs in den nächsten
Wochen möglich sein wird. Eventuell muss ich damit bis zum Frühjahr warten, bis die Weide wieder abgetrocknet ist.
Ich halte Euch weiter auf dem Laufenden.
Viele Grüße, danke für Euere Unterstützung und bis bald.
Karsten